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Tagebücher und Memoiren deutschsprachiger Immigranten in Brasilien: Zum Selbstbild und zur Wahrnehmung des Anderen

Diaries and memoirs of German-speaking immigrants in Brazil: About self-image and the perception of others

Zusammenfassung

Nach der Abschaffung des Sklaventums 1888 brauchte Brasilien neue billige Arbeitskräfte und zog viele mitteleuropäische Siedler, unter ihnen deutschsprachige Kolonisten, an, die sich in Übersee ein besseres Leben erhofften. Das Ziel des Artikels ist es, die Wahrnehmung des Anderen sowie das Selbstbild in einigen, mehrheitlich nicht publizierten Tagebüchern und Memoiren deutschsprachiger Immigranten in Brasilien im 19. und 20. Jahrhundert zu untersuchen. Einige der Fragen, die angesprochen werden, sind beispielsweise die nach der Zielgruppe der jeweiligen Memoiren, nach deren Aufbau, sowie nach den Auslassungen und disparaten Darstellungen von Themen und Geschehnissen.

Stichwörter:
Migration; Tagebücher; Selbstbild; Postcolonial Studies

Abstract

After the abolition of slavery in 1888, the Brazilian economy turned towards cheap workforce, which attracted many Middle European settlers, among them German-speaking settlers and refugees seeking better life conditions. This article verifies the perception of “others” and the self-image (including resignifications of self and acculturation) in some mostly unedited diaries and memoirs of German-speaking immigrants in Brazil in 19th and 20th century. Among other topics, the target group and function of each memoir, its construction, and the omitted and disparate representations of topics and events are analyzed.

Keywords:
Migration; Diaries; Self-image; Postcolonial studies

1 Historischer Hintergrund der Massenmigration

Die Geschichte Brasiliens, von ihren neuzeitlichen Anfängen unter der Herrschaft von Portugal bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, ist durch Kolonisation, Sklaverei, und Massenmigrationen geprägt. Große Menschenströme zogen aus Europa, Asien und Afrika in das überseeische Land, das für die einen rücksichtslose Ausbeutung, knochenharte Zwangsarbeit in menschenverachtenden Verhältnissen und verfrühten Tod bedeutete, für die anderen Aussichten auf ein besseres Leben mit sich brachte und sich oft dennoch als schmerzhafte Enttäuschung erwies.

Am 13. Mai 1888 erließ die Regentin Prinzessin Isabella von Brasilien das Dekret zur Befreiung aller Sklaven im Land.2 2 Der 13. Mai war übrigens bis 1930 Nationalfeiertag, heute immer noch an Straßennamen in fast jeder Stadt erkennbar. Die afrikanischstämmige Bevölkerung Brasiliens feiert hingegen am 20. November, den Tag des „Schwarzen Selbstbewusstseins“ (Dia da Consciência Negra), der an den Tod des Anführers des Sklavenaufstandes von Palmares - Zumbi - und an den aktiven Widerstand der Sklaven erinnern soll. Als letztes Land in der westlichen Hemisphäre garantierte Brasilien somit, zumindest theoretisch, die Befreiung der afrikanischstämmigen Sklaven, von denen die nach 1871 geborenen, sowie die, die im selben Jahr das 60. Lebensjahr überschritten haben, sowieso im Sinne des Lei do ventre livre [wörtlich: Gesetz des freien Schoßes] als frei galten. Das so genannte Lei Áurea [Das goldene Gesetz] besiegelte somit einen jahrzehntelangen Prozess der Sklavenbefreiung. Auf großen Plantagen fehlte es schon früher an billiger und effizienter Arbeitskraft, daher sahen sich die brasilianischen Großgrundbesitzer nach neuen Möglichkeiten um, ihr Land zu bebauen.

Die schwarze und braune Hautfarbe von großen Teilen der Bevölkerung des Landes war auch einer der Gründe für die Öffnung gegenüber ost- und mitteleuropäischen Migranten. Die brasilianische Krone, und ab 1889 die Republik Brasilien, verfolgten nämlich das Ziel, ihre Population „aufzuhellen“ (port. branqueamento).3 3 Vgl. dazu: Alterman (2001: 253-256); Carvalho de Abreu (2004: 9-16); Rocha da Costa (2010). An diese Bemühungen erinnert das berühmte Bild A redenção de Cam [Erlösung von Ham] von Modesto Brocos, einen Befürworter der brasilianischen Eugenik, aus dem Jahre 1895. In Anspielung an die biblische Geschichte, in der Ham, einer der Söhne von Noe, wahrscheinlich dunkelhäutig, von dem Vater aus Rache versklavt wird, wird hier durch eine Mischungdunkelhäutiger Frauen mit hellhäutigenMännern eine stufenweise Aufhellung und somit „Erlösung“ der schwarzen Bevölkerung gezeigt. Die jüngste Generation, ein Junge, ist ganz hell, wofür seine schwarzhäutige Großmutter in einer Dankesgeste die Arme nach oben streckt. Die helle Hautfarbe erscheint also als ein Mehrwert und die hellhäutigen Einwanderer als eine aus vielen Gründen begehrte „Ware“.

Zur gleichen Zeit befanden sich große Teile der (überwiegend ländlichen) Bevölkerung Mittel- und Osteuropas wegen militärischer Auseinandersetzungen und Besetzungen sowie Unterdrückung aus ethnischen, religiösen und politischen Gründen in äußerst schwieriger Lage. Ermutigt durch Agenten der immer schneller wachsenden Migrationsgesellschaften, wie die ursprünglich aus den USA stammende Lumber and Colonization Company, verkauften viele ihr Hab und Gut, um in die beiden Amerikas überzusiedeln: unter anderem in das sagenumwobene Brasilien. Sie erhofften sich ausreichend Anbauflächen und wollten vor der Gefahr der „überflüssigen Hände“ fliehen. Ein anderer Grund für die Ausreise nach Brasilien, unterstützt von vielen deutschen Regierenden, war die Abschiebung von deutschen (politischen) Häftlingen nach Brasilien, die zwar nicht das Ausmaß der entsprechenden Auswanderung nach Australien annahm, immerhin aber für damalige Verhältnisse beachtliche Zahlen aufwies.4 4 Siehe hierzu: Tagebuch des Unteroffiziers Tessmann betitelt Tagebuch einer Reise nach Brasilien im Jahre 1824. Vgl. Manke (2015).

Die neue Heimat sollte den Siedlernneben politischer und religiöser Freiheit ökonomisches Wohlergehen garantieren. In vielen Tagebüchern und Briefen, die die Erwartungen der Siedler zur Sprache bringen, wiederholt sich deshalb das idealisierte Bild von Brasilien, das einem Paradies ähnelt: „… dieses verzauberte Land mit Ackern in Hülle und Fülle, wo alles umsonst ist und alles gedeiht und wo es keinen Winter gibt und es an Brennholz nicht fehlt.“ (Krzywicki 1939Krzywicki, Ludwik; Stępowski, Stanisław (eds.). Pamiętniki emigrantów. Ameryka Południowa, Warszawa: Instytut Gospodarstwa Społecznego, 1939.: 77), wie man im Tagebuch eines polnischen Landwirtes im Bundesland Paraná lesen kann.

Die künftigen europäischen Kolonen wurden sorgfältig gewählt und in dem wenig bewohnten Süden des Landes angesiedelt. Bevorzugt wurden diejenigen, die, wie Samira Moratti Frazão betont (Moratti Frazão 2017Moratti Frazão, Samira. Política (i)migratória brasileira e a construção de um perfil de imigrante desejado: lugar de memória e impasses. Antiteses, v.10, n. 20, p. 1103-1128, 2017.), einem bestimmten Profil entsprachen. Der ideale Siedler sollte nicht allzu ausgebildet, nicht wohlhabend, aberweiß sein, und möglicherweise mit der ganzen Familie einreisen, damit das Risiko und überhaupt die Möglichkeit einer Rückkehr ins Heimatland so gering wie möglich gehalten werden konnten.

Tatsächlich wollten viele der ersten Migranten zurück nach Polen, Deutschland oder Italien. Neben den schwierigen klimatischen und gesundheitlichen Bedingungen in der kulturell neuen Umgebung waren sie zudem zur schweren Arbeit entweder auf Plantagen oder im Wald, bei Abholzung des Urwaldes und Vorbereitung von Ackerflächen, gezwungen. Dabei war und ist es noch heute schwer eine annähernd zutreffende Zahl der deutschen Immigranten anzugeben, da die vor 1918 einreisenden Polen oft als deutsche oder russische, seltener als österreichische Bürger registriert wurden.

In zahlreichen Briefen, manchmal in lokaler (deutschsprachiger) Presse veröffentlicht, baten die Einwanderer die heimische Regierung und die lokale Gemeinde um finanzielle Unterstützung. Die ersten Eindrücke von der Reise sowie von der Ankunft in (Süd-)brasilien hingen dabei weniger von der nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit als vielmehr von der gesellschaftlichen Stellung und der damit verbundenen materiellen Situation ab. Während besser Situierte, wie Lehrer, Apotheker (wie Hugo Delitsch), Reisende und Wissenschaftler (wie Friedrich von Weech, Robert Avé-Lallemant, Maximilian zu Wied-Neuwied)5 5 Vgl. dazu: Souza Correa (2005: 227-269). in ihren Aufzeichnungen den geografischen, botanischen und kulturellen Differenzen des Landes viel Aufmerksamkeit widmeten und oft mit Bewunderung das Reichtum der brasilianischen Fauna und Flora beschrieben, konzentrierten sich einfache Bauer auf erlebte Schicksalsschläge und Schwierigkeiten des Alltagslebens in dem als fremd und oft feindlich beschriebenen Land.

2 Heterogenität der Quellen und theoretisches Instrumentarium

Im Mittelpunkt meiner ersten Datenerhebungen stehen autobiographische Texte, die ungef. zwischen 1840 und 1950 entstanden sind. Die erste zeitliche Zäsur bezieht sich auf die Ankunft der ersten großen Migrantenwellen, die zweite ist mit der Wiederwahl, bzw. der zweiten Amtsperiode des populistischen Präsidenten Getúlio Vargas, der zwischen 1937 und 1945 als Oberhaupt des Estado Novo diktatorische Macht ausübte, verbunden.

Auch wenn sich die ausgewählten Texte somit nicht nur stilistisch, sondern auch formell und inhaltlich unterscheiden, sind sie dennoch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, wenn mithilfe von theoretischen Werkzeugen wie Stereotypenforschung, Erinnerungstheorien oder Theorien der Autorschaft der Frage nach Selbst- und Fremdzuschreibungen, nach Bild der Brasilianer und anderer Migrantengruppen sowie nach der Darstellung der alten und der neuen Heimat nachgegangen wird, ohne dabei die Vielfältigkeit der analysierten Texte aus den Augen zu verlieren.

Ein wichtiger, bei der Analyse zu beobachtender Faktor, war der potenzielle Leser und die erwünschte Rolle und Rezeption der Egodokumente: von rein privaten Aufzeichnungen über detaillierte Tagesabläufe, aufbauende, entwicklungsromanartige Memoiren (wie es im Falle von einigen von Mennoniten-Deutschen verfassten Tagebüchern der Fall war) bis hin zu zeitkritischen und rückblickenden Analysen. Von der Vielfältigkeit des (auto-)biographischen Schreibens berichtet u.a. die argentinische Forscherin Leonor Arfuch, die betont, dass sich dieses Genre schwer definieren lässt, da es sich zwischen anderen Textsorten wie Zeugnis, Roman und historischem Bericht bewegt. (Arfuch 2010: 58) Auch der französische Literaturwissenschaftler Philippe Lejeune beschäftigt sich mit der Mehrdimensionalität des Autobiographischen und weist darauf hin, dass der Schreibende eine kommunikative Absicht hat und ein „autobiographischer Pakt“ mit dem Leser den Kern des autobiographischen Schreibens bildet (Lejeune 1994).

Eine andere Perspektive, die ich bei der Analyse des literarischen und biographischen Erbes der Migranten berücksichtigt habe, sind die Colonial Studies, also koloniale und postkoloniale Theorie (Edward Said, Homi Bhabha, Gayatri Chakravorty Spivak), ein in letzter Zeit oft gewähltes Instrumentarium zur Lektüre und Re-Lektüre von Texten, die mit kolonisierten und besetzten Ländern und Landschaften zeitlich, geographisch oder thematisch in Berührung kommen. Die Lektüre des gewählten Textkorpus durch diese Optik ist umso mehr berechtigt, als viele der Migranten, auch wenn sie oft aus ärmlichen Verhältnissen kamen, eine gewisse zivilisatorische und kulturelle Überlegenheit verspürten, was gerade in den nicht fiktionalen Texten gut zu erkennen ist.

Seit etwa zwei Dekaden werden in den Literatur- und Kulturwissenschaften unterschiedliche Erinnerungskonzepte, die von dem Begriff der lieux de mémoire (Nora 1998Nora, Pierre. Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Frankfurt am Main: Fischer, 1998.) ausgehen, mit Erfolg angewendet. Im deutschsprachigen Raum, aber auch in vielen europäischen und nichteuropäischen Ländern, haben sich u.a. die Ansätze von Jan und Aleida Assmann (Assmann 2006Assmann, Aleida. Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C.H. Beck, 2006.) sowie von Astrid Erll (Erll 2005Erll, Astrid. Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart: J.B. Melzer Verlag, 2005.) durchgesetzt. Vm Konzept der Erinnerungsorte ausgehend kann überlegt werden, welche Erfahrungen, Orte, Personen usw. für die deutschsprachige Migration maßgeblich waren und als Identifikationsmarken fungierten, und ob man überhaupt so ein Ensemble an Erinnerungsorten für eine so heterogene (Erfahrungs-) Gemeinschaft zusammenstellen kann. Vor diesem Hintergrund heben sich Tagebücher jüdisch stämmigen Deutschen ab, die in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Zuflucht in Übersee suchten und die verständlicherweise mit anderen Erinnerungsbildern arbeiten.

Trotz der theoretischen Einteilung der Migranten in Kolonisatoren und Kolonisten (vor der Unabhängigkeit Brasiliens) und Immigranten (nach 1822) haben viele Siedler, insbesondere deutscher Abstammung, an ihre zivilisatorische Sendung geglaubt und sich wie eigentliche Kolonisatoren verhalten. Diese Haltung war besonders in Streitfragen ummit anderen Migranten geteilten Kolonien und Mikroregionen.So liest man zum Beispiel in der Deutschen Zeitung aus Porto Alegre im Jahre 1866 in einem Beitrag über polnische Einwanderung:

Schließlich sind das nur Pläne, die wie die stolzen Träume der Nordamerikanischen Einwanderung sich wohl bald im Schaum auflösen werden, denn die Logik der Thatsachen wird den Brasilianern beweisen, dass die einzigen Nationalitäten, die sich zu einer erfolgreichen, ackerbautreibenden Colonisation eignen, Deutsche und Schweizer sind und dass in dieser Beziehung von der lateinischen und der slavischen Race am allerwenigsten zu erwarten ist. (Deutsche Zeitung 1866: 1)

Gleichzeitig aber wurden Deutsche und Schweizer als begehrte „Ware“ betrachtet, was aus der brasilianischen Presse herauszulesen ist, vorzugsweise aus den Anzeigen, wie diese aus der Zeitung Aurora Paulistana aus São Paulo:

Vergueiro & Co. nach der Vertragschließung mit Exc. Regierung dieser Provinz zum Ziele der Einführung von Kolonisten sehen sich berechtigt den Großgrundbesitzern dieser Provinz Kolonisten anzubieten gegen Bezahlung von Schiffsreise und anderen anfallenden Kosten bis zur Einschiffung in Santos […] in dem Monat August erwarten wir zwei Ladungen […] und die zweite, aus Hamburg ausgehend, mit deutsch-schweizerischen Familien. (Aurora Paulistana 1852: 3)

In dem Prozess des Schreibens wird das Ich entworfen oder (neu-)erfunden, da das Genre der Biographie dem Schreibenden und (sich) Erzählenden das Konstruieren der erzählten Zeit erlaubt (Arfuch 2010Arfuch, Leonor. O Espaço biográfico: dilemas da subjetividade contemporânea. Trad. Paloma Vidal. Rio de Janeiro: Editora da UERJ, 2010.: 183-191). Die Neuerfindung des Ichs ist in diesem Kontext auch in den von mir untersuchten Egodokumenten zu beobachten und oszilliert oft zwischen Abweisung und Begeisterung, zwischen Akkulturation und kultureller Überlegenheit dem Gastland gegenüber.

Im Folgenden werde ich mich auf Tagebücher, Memoiren und teilweise auch Karten berufen, die von deutschsprachigen Migranten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen verfasst worden sind. Ihre Autoren sind, dem Geburtsjahr nach:

  • Hugo Delitsch, geb. 1826 in Neukirchen / Sachsen, gest. 1905 in Joinville / Santa Catarina; Tagebuch: 1844 - 1859.

  • Conrad Baumer, geb. 1834 in Herblingen / Schweiz, gest. 1919 in Joinville sowie Jacob Hermann (Germano) Baumer, geb. 1875 in Joinville, gest. 1953 ebd.

  • Johann Riediger, geb. 1868 in Blumstein, Molotschna / Südrussland, gest. 1953 in Curitiba sowie Susanne Hamm, geb. Riediger 1898 in Blumstein, Molotschna / Südrussland, gest. 1991 in Witmarsum, Palmeira / Paraná Tagebuch: verm. 1940 - 1969 (erzählte Zeit: 1808-1969).

  • Siegfried Friedel Goldschmied, geb. 1910 in Frankfurt, gest. 1998 in Nova Esperança / Paraná.

  • Melitta Kliever Nikkel, geb. Legiehn 1924 in Südrussland, gest. 2014 in Witmarsum, Palmeira / Paraná, Tagebuch: verm. 1940 - 2012 (erzählte Zeit ufg. 1930 - 2012).

  • Sybille von Moers, Tagebuch geführt überwiegend in Ibirama / Santa Catarina zwischen 1944 und 1946 (auf Portugiesisch) sowie 1946-1948 (auf Deutsch).

3 Tagebücher und Memoiren als multidimensionale Dokumente deutschsprachiger Migration

Der vorgestellte Textkorpus kann bestimmt auf vielen Ebenen und aus mehreren Blickwinkeln gelesen und analysiert werden. Als Artefakte nichtfiktionaler (und meistens nicht publizierter) Literatur, bieten die Tagebücher und Briefe vor allem aber eine einmalige Möglichkeit, die Geschichte der deutschsprachigen Migration in Brasilien aus der individuellen Perspektive der Protagonisten der Auswanderung kennenzulernen, aufbauend auf die private Erinnerung und somit äußerst facettenreich.

Was die gewählten Egodokumente im Vorfeld unterscheidet ist der Grund der Ausreise aus Deutschland bzw. aus Russland (wie im Falle der Mennoniten), wobei er nicht immer in den Manuskripten thematisiert wird. Während mennonitische oder jüdische Migranten religiöse und ethnische Verfolgung jeweils unter Hitler und Stalin in den 30er und 40er Jahren angeben, nennen andere ökonomische oder persönliche Gründe.

Aus den Aufzeichnungen des Schweizers Conrad Baumer ist das schon oben erwähnte idealisierte Bild von Brasilien herauszulesen, das viele Migranten zur Auswanderung bewogen hat und ausdrücklich von Migrationsagenten gestärkt und teilweise präpariert worden ist. Baumer schreibt: „Hungern brauchte man in Brasilien nicht: es gäbe so viel Wild: Hühner, Wildschweine […] und es gäbe viele Sorten Früchte, ein (sic!) Frucht sieht gleich einer Wurst aus (Banana)“ (Baumer 1941). Dieses Bild von unbesorgtem Leben in Übersee, einfacher Landwirtschaft und großen Ernten dank des milden Klimas wiederholt sich übrigens auch in Egodokumenten von anderen Migrantengruppen, wie, z.B. von Polen, die in der Besatzungszeit ihres Landes besonders zahlreich auswanderten.6 6 Wie man in dem Tagebuch eines aus Galizien stammenden Bauer liest, lebte er im Glauben, er fahre „in dieses magische Land, wo es Unmengen an Ackern gibt und man nichts bezahlen muss und alles alleine wächst, wo es keinen Winter gibt und es an Brennholz nicht fehlt.“, Tagebuch Nr. 8. In: Krzywicki; Stempowski (1939: 77). Übersetzung, wenn nicht anders angegeben, IDB. Dieser Glaube sollte vielen Kolonisten zum Verhängnis werden, insbesondere denjenigen, die in den Hochlandteilen der Provinz Paraná sowie in Rio Grande do Sul untergebracht worden sind, wo im Winter die Temperatur nachts unterhalb der Null-Marke sinken kann.

Bei vielen Mennoniten war der Grund für die Ausreise nicht nur die materielle Not nach dem Umsturz und Revolution von 1917 in Russland, die für die meisten Enteignung oder Beschlagnahmung des Besitzes bedeutete, sondern auch religiös und ethnisch motivierte Verfolgung. Manche von ihnen warteten bis zur Schließung der Landesgrenzen in der Hoffnung, dass sich die Situation entspannt: „Dieses wurde ihnen zum Verhängnis. Kurz nach unserer Abfahrt wurden sie in Viehwaggonne geladen und nach Sibirien verschickt.“ (Riediger: 7) schreibt in seinen Erinnerungen Johann Riediger. Seine Tochter Susann, die die Memoiren fortsetzt, beschreibt in einem separaten Kapitel die Gründe für die Auswanderung („Entscheidung zur Flucht“, S. 19-20). Während der Anwesenheit von deutschen Truppen („Deutsche Besatzung“, S. 13) 1918 in der Ukraine kam es für die Mennoniten zu einer kurzen Phase der Entspannung. Susann Riediger berichtet darüber, mit welcher Freude die Minderheit die deutschen Truppen begrüßt hat: „Auch durch unser Volk ging ein Jubeln. Es war Freude nach dem Leid.“ (Riediger: 11) Noch im selben Jahr zogen die deutschen Truppen jedoch ab und es „kam schlimmer als wir erwartet hatten. Es wurde immer hoffnungsloser […]“ (Riediger: 11). Bei der Entscheidung, Südrussland zu verlassen und auf Umwegen nach Brasilien zu gelangen wird eine aufgeschlagene Bibelstelle als ausschlaggebend zitiert.

Judenverfolgung in Deutschland hingegen bewegte Siegfried „Friedel“ Goldschmied dazu, sein Heimatland ein Jahr vor dem Kriegsausbruch zu verlassen. Nach der Verhaftung seines Vaters und seiner Inhaftierung im KZ Buchenwald sah sich Friedel Goldschmied gezwungen, mithilfe einer holländischen Hilfsorganisation ins Meer zu stechen. Anhand des Tagebuchs von Goldschmied, das er übrigens seit seiner frühen Pubertät führte, wird sichtbar, mit welchen Aufnahmeproblemen in der so genannten „Ära Vargas“ jüdische aber auch arabische Geflohene nach Brasilien rechnen mussten.

Nach 10 Wochen Seereise und Zwischenaufenthalt in Uruguay wurden die Migranten endlich in die Stadt Rio de Janeiro eingelassen, von der in Goldschmieds Tagebuch am 30. Dezember zu lesen ist: „Ich habe nicht viele Städte gesehen, aber Rio de Janeiro muß die schönste Stadt der Welt sein… Rio de Janeiro, Brasilien - meine neue Heimat!“ (Goldschmied 1938). Bald darauf ändert sich jedoch Goldschmieds Perspektive und seine ersten Tage in Brasilien lassen ihn am 7. Januar notieren: „Nein, Brasilien ist nicht meine Heimat… ich hatte etwas vergessen -: daß wir, mein Reisekamerad Throm, ich - viele Tausende von Ausgestossenen, Verfolgten - ja gar keine ‚richtigen‘ Menschen sind“ (Goldschmied 1939).

Als er in Brasilien unter Getúlio Vargas eingelassen wurde, hatte Goldschmied allerdings mehr Glück als andere rund 16.000 Juden, die in Brasilien Asyl beantragt haben. Ungefähr so viele Visaanträge wurden nämlich in der Zeit des nationalsozialistischen Regimesin Brasilien abgelehnt, wie neue Recherchen, vor allem die Studien von Maria Luiza Tucci Carneiro (Tucci Carneiro 2012Tucci Carneiro, Maria Luiza. Rompendo o silêncio: a historiografia sobre o antissemitismo no Brasil. Cadernos de História, v.13/2012, n.18, p.79-97.), nahelegen. Obwohl Friedel Goldschmied sein Tagebuch kurz nach der Ankunft in Brasilien abschließt, kann man aus den hinterlassenen Briefen von seinem weiteren Schicksal erfahren. Nach der Übersiedlung nach Paraná führte er ein ziemlich ruhiges Leben in Nova Esperança, einer Stadt, die auf Deutsch, passenderweise, „neue Hoffnung“ heißt.

Fast in allen Memoiren der jeweils ersten Generation von Immigranten in Brasilien, die auf dem Land arbeitete oder zumindest ohne Geldmittel nach Brasilien kam, wird von enormen Schwierigkeiten und von Not in den ersten Jahren in Brasilien berichtet, in Worten, die das imaginäre Bild des „gelobten Landes“ schnell dekonstruierten. Die versprochenen Anbauflächen mussten zuerst abgeholzt werden, wobei der angeblich fruchtbare Boden eine andere Bestellung und unterschiedliche Bepflanzung erforderte, die erst ausprobiert und erlernt werden musste, vor allem in bergigen Regionen, die manchmal nach einer mühevollen Probezeit wieder verlassen wurden.7 7 So geschah es zum Beispiel mit der mennonitischen Kolonie Witmarsum in Santa Catarina, die Anfang der 50er Jahre verlassen worden ist. Daraufhin ist eine Gemeinde mit demselben Namen (nach dem Geburtsort des Gründers Hugo Simas) im Bundesland Paraná aufgebaut worden. Vielleicht ist eben der Bezug auf die Mühen der ersten Jahre in Brasilien einer der wenigen Erinnerungsorte, der fast alle Autoren der Memoiren verbindet.

Nicht desto weniger ist eben in den Tagebüchern deutscher (meist protestantischer) Migranten gleichzeitig ein aufbauender Ton zu verzeichnen, der auf den Erfolg trotz der erlebten Schicksalsschläge eingestellt ist. Bei Jacob Hermann (Germano) Baumer lesen wir:

Falls zukünftige Generationen dieses Buch lesen und damit dieselben, falls sie sich nicht reindenken können, möchte ich bitten, wenigstens versuchen sich reinzudenken: wie schwer es wohl für die ersten Generationen mag gewesen sein, wenn einer ohne Geld-Mittel auf einem Grundstück, wie es die Natur geschaffen (Urwald) nur auf seine eigenen Fäuste angewiesen ist. Aber die Energie, der Wille, das Vertrauen auf Erfolg und vor allem die Zufriedenheit und Genügsamkeit führten zum gesetzten Ziel. (Baumer 1940)

Diese Zielstrebigkeit, gepaart mit der Überzeugung von göttlicher Vorsehung, findet man auch in mennonitischen Tagebüchern, die übrigens nicht nur als historisches, autobiographisches, literarisches und nicht zuletzt soziologisch relevantes Material von Interesse sind, sondern auch die Wege der Mennoniten, beginnend in Deutschland, über Russland, Paraguay, Kanada bis hin zu Brasilien, anhand der mehrsprachigen Einschübe in Form von Redewendungen, Zitaten, Speise- und Eigennamen sowie nicht zuletzt Gedichten, nachvollziehbar machen.8 8 Vgl. dazu: Drozdowska-Broering (2016: 78-88).

Was aber im Kontext dieses Beitrags als bezeichnend erscheint ist die Tatsache, dass auch die Emigrationskompanien, wie die schon erwähnte Lumber, die potenziellen Migranten in den späteren Jahren der Auswanderung dadurch anspornten, dass sie auf die Sendung nicht nur der deutschen, sondern auch allgemein der europäischen Kultur durch ihre Werbeanzeigen hindeuteten. Als Beispiel kann hier eine Anzeige der Lumber Colonization Company in der Werbejahreszeitschrift Anuario Propagandista Sul do Brasil aus dem Jahre 1936 dienen, wo ein zur Hälfte sichtbarer nackter Mann zwei enorme Araukarien zu Seiten schiebt. Das Wichtige daran: der kräftige Mann trägt eine Hermes-Mütze und hinter ihm ist die aufgehende Sonne zu sehen, eine ganz klare symbolische Darstellung der „Sendung“ der westlichen Kultur in Südbrasilien. Der jeweils Andere erscheint somit als Vertreter einer unterlegenen, minderwertigen Kultur bzw. wird der (wilden) Natur gleichgesetzt, der Kolonist wird zum Kolonisator.

Eben um diese Zeit, in den 30er Jahren, beginnt sich auch die nationale und fremdfeindliche Stimmung in Brasilien zu verdichten und die Bemühungen, alle Bewohner Brasiliens sollen nur eine Sprache, nämlich Portugiesisch sprechen, gewinnen an Gestalt. Allmählich wird der Gebrauch anderer Sprache als Portugiesisch in der Öffentlichkeit unterbunden und alle, die entweder in Wort oder Schrift dagegen verstoßen, müssen mit Geld- oder Haftstrafen rechnen. Das neue Gesetz trifft in gleicher Weise Polen, Deutsche, Italiener, Japaner und andere Minderheitsgruppen in Brasilien. Nicht nur der Unterricht in einer Fremdsprache, sondern auch das Publizieren wird somit verboten, was insbesondere die florierende deutschsprachige (aber auch u.a. polnischsprachige) Presse trifft.

Seit den Anfängen der deutschsprachigen Presse in Brasilien im Jahre 1852 (Der Kolonist aus Porto Alegre, sowie, handgeschrieben, Der Beobachter aus der damaligen Kolonie Dona Francisca, heute Joinville) wurden in unterschiedlichen Zeitspannen und mit unterschiedlicher Periodizität mehr als 200 Titel herausgegeben, darunter sowohl Tages- als auch Wochenzeitungen, Zeitschriften zu bestimmten Themen, die sich an jeweils unterschiedliches Publikum wandten (wie z.B. Brasilianische Bienenpflege [1897] und Der Deutsche Imker [1933], Deutsch-Brasilianische Handelsnachrichten [1905] oder Das Landleben in Brasilien [1927]), die alle politischen Fraktionen und religiöse Gruppen bedienten (als Beispiele kann man hier Titel wie Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold oder Sozialdemokratische Zeitung für Brasilien [1913], Kreuz des Südens, Der Kompass [1902], oder die mennonitische Bibel und Pflug [1954] nennen).9 9 Vgl. dazu das Projekt an der Universidade Federal do Paraná unter der Leitung von Paulo Soethe, https://dokumente.ufpr.br/pt-br/dbpdigital.html. Bei dem Projekt geht es um erneute Erfassung und Einordung sowie Digitalisierung und Aufarbeitung von deutschsprachiger Presse in Brasilien, insbesondere von Titeln, die bis 1938 kursierten; vgl. auch ältere Bibliographien, wie: Arnd; Olson (1973); erste, jedoch etwas lückenhafte Auffassung der deutschsprachigen Periodika in Brasilien: Gehse (1931). Die meisten der Periodika, die vor dem Zweiten Weltkrieg kursierten, mussten ihre Tätigkeit noch Ende der 30er Jahre einstellen, wobei die meisten nach 1945 nicht neu aufgelegt wurden. Weniger zahlreich erschienen andere Titel, zunehmend zweisprachig oder ganz auf Portugiesisch geführt, die zum Teil bis heute bestehen.

Eins der Zentren der deutschsprachigen Presse in Brasilien war zweifelsohne die heutzutage größte Stadt des Bundeslandes Santa Catarina - Joinville, wo 1862 die Kolonie-Zeitung gegründet wurde. Eben bei dieser Zeitung fand der gelernte Setzer Conrad Baumer Anstellung, wobei nur das Gründungsjahr, nicht aber der Titel dieses „Zeitung-Blattes“ in seinen Memoiren genannt wird. Später erinnert sich sein Sohn Hermann, dass „auf Anordnung der Regierung vom 31. Juli 1941, vom 1. August an in Brasilien keine Zeitungen und Zeitschriften in deutscher Sprache mehr veröffentlicht werden durften“ (Baumer: 57). Somit verloren nicht nur die bei der Verfassung und Herausgabe des Blattes tätigen Menschen ihre Beschäftigung, sondern zugleich verloren die zahlreichen deutschen Einwanderer der ersten und teilweise zweiten Generation ihre Informationsquelle, wovon in demselben Tagebuch berichtet wird:

Durch diese Maßnahmen von der Bundesregierung wurden die vielen älteren Kolonisten und dessen [sic!] Söhne mit einem schweren Hieb der Verachtung getroffen. Denn diese vielen Kolonisten, welche sich mit Recht „Brasilianer“ nennen dürfen, hatten seinerzeit keine Gelegenheit die Landessprache in Wort und Schrift zu lernen […] Erst nachdem unser werter? Getulio Vargas am Ruder ist, wurde getan, dass auch in den ausserhalb der Stadt errichteten Schulen die Landessprache eingeführt wurde. (Baumer: 57)

Diese erbitterten Worte schreibt Hermann Baumer 1942 nieder, wobei er betont, dass künftig von „jedem Brasilianer, ganz gleich von welcher Nation“ die Beherrschung der Landessprache verlangt werden kann. Hier macht wiederum das Verständnis des Deutschtums bzw. Brasilianertums auf sich aufmerksam. Einerseits wird auf die starke Verbindung zu Deutschland durch Sprache und Kultur hingewiesen, andererseits werden Elemente der Gastkultur, die eigentlich an sich ein reiches Mosaik aus Sprachen und Kulturen ist, als eigene empfunden und akzeptiert. Somit erscheint das Brasilien des Hermann (Germano) Baumers als ein dritter Raum im Sinne von Homi Bhabha (Bhabha 1994Bhabha, Homi K. The location of culture, London / New York: Routledge, 1994.), der gleichzeitig als ein Hybrid- und Übergangsraum verstanden werden kann, wo ein Dazwischen und zur gleichen Zeit ein Mehr an kultureller Zugehörigkeit entsteht und das Nationale erst dann als solches zum Vorschein kommt, wenn es angegriffen wird. Eventuell so kann man auch das Fehlen des näheren Bezuges zum Zweiten Weltkrieg in diesem Tagebuch sehen, oder vielmehr, wenn vom Zweiten Weltkrieg gesprochen wird, dann nur im Kontext der ungerechten Gleichschaltung der Deutsch-Brasilianer mit den Reichsdeutschen.

Gleichzeitig klingen hier Überlegenheitsgefühle mit, die nicht nur Lusobrasilianer als „böse Sperlinge“ und deutsche Siedler als „unschuldige Schwalben“ erscheinen lassen, sondern auch von der Vorrangstellung der deutschen Siedler und ihrer Rolle sprechen, indem

das Bestehen der Welt vom Arbeiterstand ab[hängt] und vor allen Dingen vom Kolonisten. Und was diese Kolonisten anbetreffen (sic!), so handelt es sich um Brasilianer deutschen Ursprunks (sic!) Undank ist der Welt Lohn. Zum Beispiel: Wenn die liebe Schwalbe ihr Nestchen gebaut hat, dann kommt der Sperling und jagt die unschuldige Schwalbe heraus und setzt sich selbst hinein! (Baumer: 58)

Sogar in diesem und in ähnlichen Auszügen aus den Memoiren ist jedoch zu sehen, dass sich der Sohn des ersten Autors (erste Generation von Migranten) als „Deutschbrasilianer“ oder „Brasilianer deutschen Ursprungs“ bezeichnet und sich somit weder eindeutig nur mit dem Deutschen Reich noch mit der Republik Brasilien identifiziert.

4 Sich selbst und die Anderen erzählen - Zur Konstruktion und Funktion der Memoiren

Schon anhand der oben angeführten Zitate aus den Tagebüchern wird sichtbar, dass auch ein Tagebuch, trotz seines Wahrheitsanspruches, ein Konstrukt, oder vielmehr ein doppeltes Konstrukt ist, und nicht nur mit der Selbstdarstellung des Schreibenden und der „biographischer Illusion“ (Bourdieu 1990Bourdieu, Pierre. Die bibliographische Illusion. BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. Trad. Eckhart Liebau, v. 1, p. 75-81, 1990.) zu tun hat, sondern auch eine gewisse Rolle (auch in Bezug auf andere im Text dargestellte Personen) zu erfüllen hat. Die gemeinte doppelte Konstruktion resultiert meiner Meinung nach sowohl aus der konstrukthaften Beschaffenheit der Erinnerung selbst, die sie von dem Geschehen „an sich“ unterscheidet, als auch aus der Auffassung, nach der autobiographisches Schreiben als „autobiographische Fiktion“ beschrieben wird. Durch das Narrativ der Erinnerung sind, wie Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften bemerkt, „die meisten Menschen […] im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler“ (Musil 1978: 650). Im Falle der Egodokumente kommt noch zusätzlich ein vermeintlicher Empfänger ins Spiel, die Erinnerung wird also nicht nur von dem Autor sich selbst erzählt, sondern es wird, je nach Adressat, eine parallele Selbst-Geschichte entworfen.

Darin lassen sich die Nähe zwischen dem Erlebten, der Erinnerung an das Erlebte und der angestrebten Wirkung erkennen, je nach dem Grad des Bewusstseins um das eigene Schreiben und den schriftstellerischen Fähigkeiten des Autors. Manchmal wird aber das eigene Schreiben selbst zum Thema der Überlegungen. Und zwar: Wie soll in einem Tagebuch, in Memoiren erinnert werden? Und wer ist Adressat dieser Erinnerungen?

Hugo Delitsch, der Apotheker, der gleich nach der Gründung der Kolonie Dona Francisca nach Brasilien kam, überlegt an einer Stelle:

Wie aber fange ich es an, den Zwischenraum auszufüllen, der zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart in diesem Buche liegt? Mein Gedächtnis ist zu schwach, die hervorragenden Thatsachen wiederzugeben, wie sollte es sich der Gefühle erinnern? Wie die Stürme beschreiben, die in dieser Zeit unsre Familie zerreißen, die mein Herz durchtoben? (Delitsch 1858)

Auch der Sohn des Setzers Conrad Baumer - Hermann Baumer - machte sich darüber Gedanken, wie wohl spätere Generationen bzw. seine eigene Generation die Erinnerungen seines Vaters und somit das Gedächtnis an die Anfänge der deutschen Kolonisation in Santa Catarina empfangen werden und vermutete, dass seine Ausführungen auf Unverständnis stoßen können, was der oben ausführlicher zitierten Stelle zu entnehmen ist: „Falls zukünftige Generationen dieses Buch lesen und damit dieselben, falls sie sich nicht reindenken können, möchte ich bitten, wenigstens versuchen sich reinzudenken.“ (Baumer 1940)

Die Erinnerungen von Susanne Hamm, Tochter von Johann Riediger, haben eine sichtbar aufbauende Funktion und sind eher an eventuelle mennonitische Leser bzw. auch Familienmitglieder gerichtet. Es werden ausführlich die Verfolgung in Russland, die Folgen des Zweiten Weltkrieges für Deutschland und für Deutschsprecher, sowie private Schicksalsschläge beschrieben - stets mit dem Hinweis auf die göttliche Vorsehung. Diese Hinweise findet man auch in den angehängten Briefen, wie in dem folgenden Brief aus Deutschland aus dem Jahre 1946:

Mit Grauen denken wir zurück an die schreckliche Nacht als es schien wie wenn die Welt unterging und unsere schöne Stadt Dresden in Flamen aufging. Alles was wir retteten war der Kinderwagen und ein Kopfkissen […] Da fragten wir uns warum Gott so etwas wohl zuließ. Doch jetzt habe ich schon oft gesagt, der liebe Gott verlässt die Seinen nicht. (Riediger: 68-69).

Die Einschübe auf Plattdeutsch und Russisch werden nicht übersetzt und dienen eher der Hervorhebung der Originalität und Besonderheit des Erinnerungsfundus und zeugen davon, dass eventuelle Leser auch diese Sprachen beherrschen. Sporadisch findet man Umschreibungen oder Übersetzungen der portugiesischen Begriffe (meistens aus dem Agrarbereich) in den Briefen an Verwandte in Deutschland, die nebst anderen Briefen den eigentlichen Memoiren angehängt worden sind.

Das Tagebuch von Melita Kliewer-Nikkel scheint an einen breiteren Adressatenkreis gerichtet zu sein: Außer der näheren Beschreibung der Gegebenheiten, Speisen und Bräuche in Paraguay und in Brasilien findet der Leser meistens Erklärungen oder Übersetzungen sowohl aus dem Plattdeutschen als auch aus dem Portugiesischen oder Spanischen. Anders fällt hingegen das handgeschriebene Tagebuch der Krankenschwester Sybille von Moers aus, das, wie bereits erwähnt, zweisprachig, nämlich zuerst auf Portugiesisch und nach 1946 auf Deutsch, geführt worden ist. Erinnert wird vor allem an den beruflichen Werdegang in dem Krankenhaus von Hammonia, wobei die reichlich vorhandenen Fotos eine wichtige zusätzliche Informationsquelle sind.

Sowohl bei Sybille von Moers als auch im Falle von Friedel Goldschmied findet man zahlreiche Abbildungen, die den Memoiren beinahe eine Reisetagebuch-Aufmachung verleihen und als eine zusätzliche Quelle fungieren, das Beschriebene zu untermauern. Manchmal sprechen die Bilder jedoch eine eigene Sprache, was zu einer gewissen Diskrepanz führt, wie im Falle der Jagdfotos bei Sybille Moers. Sie beschreibt eine Jagdszene als äußerst fröhliches, entspanntes Ereignis. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich wilde Tiere, wie „Tiger“ (womit wohl Jaguaregemeint werden). Auf den folgenden Fotos werden die erlegten „Tigerwelpen“ so gezeigt, als ob sie noch lebten und eine „Gefahr“ darstellen würden; ein aufmerksamer Beobachter bemerkt jedoch, dass ihre Köpfe auf Holzstöcken gestützt sind.

Die Bilderflut in den beiden Erinnerungstexten schreibt sich in die Strömung der von Gerhard Paul propagierten Visual History.10 10 Vgl. dazu: Paul (2009); ders. (2008); ders. Visual History, Version: 3.0. Docupedia-Zeitgeschichte. Abgerufen am 15.01.2019. Bei Paul heißt es, dass dieses Iconic Turn,11 11 Vgl. dazu u.a. Didi-Huberman (2007); Bachmann-Medick (2014); Belting (2011); Bredekamp (2010); Knoch (2005). die Macht der Bilder, die nun (wieder einmal) das Bewusstsein der Menschen beherrscht und Wissenschaftler beschäftigt, bereits das ganze 20. Jahrhundert umfasst.

Im Falle der deutschen Massenmigration nach Südamerika, insbesondere nach Brasilien, sind die Bilder, die das Gedächtnis prägen, nicht wegzudenkende Komponenten des kollektiven Gedächtnisses in Brasilien selbst und auch jenseits des Ozeans. Bilder einer Schiffreise, des "Großen Wassers", Bilder einer Hütte mitten im Urwald, eines Pinienwaldes, einer jeweils ärmlich gekleideten oder festlich-bürgerlichen Gesellschaft vor der Kulisse des brasilianischen Hochlandes, eines modernistischen Krankenhauses auf einem Hügel umgeben von Palmen, wie das in Ibirama bei Hammonia in Santa Catarina. Die Bilder und Illustrationen aus den Memoiren und Tagebüchern sprechen oft ihre eigene Sprache und sind bestimmt ein ausgesprochen wichtiges Thema für einen separaten Aufsatz.

5 Worüber die Memoiren schweigen

Im letzten Abschnitt dieses Beitrags widme ich mich hingegen dem, was aus den Tagebüchern wie ein weißer Fleck ragt, worüber in den meisten Memoiren Stille herrscht. Erwähnt werden auch disparate Stellungnahmen zu komplexen historischen Ereignissen, wie der Zweite Weltkrieg.

Zu den ausgelassenen Themen gehört wohl die Situation der indigenen Bevölkerung auf den kolonisierten Territorien. Vor allem im Süden des Landes waren große Teile der heutigen Bundesländer Paraná und Santa Catarina nicht kolonisiert und von Indios bewohnt, die im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts entweder vertrieben oder getötet worden sind. Noch viele Jahre nach der Besiedlung und Bebauung der Landflächen durch Europäer kam es zu Auseinandersetzungen mit den Einheimischen, was eher Stoff für Abenteuer- und Jugendromane12 12 Vgl. dazu u.a.: Rambo (1934); Böttner (1930). lieferte als zum Grund selbstreflektierender Überlegungen wurde. In diesem Fall fungiert der Andere als einer, der anscheinend keiner Erwähnung wert ist, oder dessen Geschichte mit dem eigenen Werdegang in der dargestellten Form nicht vereinbar scheint und daher verdrängt wird. Aleida Assmann deutet die Erscheinung des Vergessens und Verdrängens folgenderweise:

Das Gedächtnis, […] die Dynamik von Erinnern und Vergessen auf der Ebene des Individuums […] ist kein statistischer Behälter, in dem Erfahrungen unverändert konserviert werden. Persönliches Erinnern ist ein dynamischer Prozeß, in dem man sich von den Bedingungen und Bedürfnissen der Gegenwart aus immer wieder etwas anders auf die Vergangenheit einlässt und dabei gerade so viel von ihr zulässt, wie man gebrauchen oder ertragen kann. (Assmann 2004Assmann, Aleida. Persönliche Erinnerungen und kollektives Gedächtnis in Deutschland nach 1945. In: Mauser, Wolfram; Pfeiffer, Joachim (eds.). Erinnern. Würzburg: K&N, 2004.: 84)

Am Beispiel des Tagebuches von Sybille Moers wird es besonders sichtbar, wie sehr dieses Thema ausgeblendet wird. Die Schreibende erwähnt mit keinem Wort die Tatsache, dass in Ibirama, wo sie arbeitet, ein innovatives Projekt entstand, das Schutz der indigenen Bevölkerung zum Ziel hatte. Der Ideengeber, Eduardo Lima e Silva Hoerhann, nahm den ersten friedlichen Kontakt zu den Indios aus dem Stamm der Xokleng mit dem Zweck auf, sie in einem Reservat unterzubringen und somit ihre Ausrottung durch deutsche und vor allem italienische Siedler zu verhindern.13 13 Vgl. Zur Pazifikation bei Ibirama: Zemke (2018), abgerufen am 26.10.2019; Hoerhann (2005). Nach Verhandlungen wurde ihr Siedlungsgebiet 1916 abgegrenzt, was die Übergriffe der europäischen Kolonisten verringerte, jedoch nicht völlig aufhielt. In den 40er und 50er Jahren hielt sich Hoerhann weiterhin in Ibirama auf, wo er 1976 verstarb.

Auch in den beiden erwähnten mennonitischen Tagebüchern ist kaum von Indios die Rede, wobei aber andere Migrantengruppen ebensowenig erwähnt werden. Dafür ist von der indigenen Bevölkerung in Paraguay und Brasilien in einem Brief von Fritz Kliewer an das Auswärtige Amt die Rede, wo er die Unmöglichkeit betont, „aus einem Indianer einen Mennoniten“ (Kossok 1960Kossok, Manfred. Die Mennoniten-Siedlungen Paraguays in den Jahren 1935-1939. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, v. 8, p. 370-71, 1960.: 370-371) zu machen, da, wie er behauptet, Mennonit zu sein so viel wie Deutscher und Christ zu sein bedeutet. Diese Haltung entsprach jedoch nicht der Grundeinstellung. Insbesondere in dem paraguayischen Chaco gab es mennonitische Missionen und ansonsten unterhielten die mennonitischen Migranten, wie Peter Klassen betont (Klassen 1991Klassen, Peter P. Die Mennoniten in Paraguay: Begegnung mit Indianern und Paraguayern, v. 2, Bolanden-Weierhof: Mennonitischer Geschichtsverein, 1991.), gute nachbarschaftliche Beziehungen zu den indigenen Stämmen.

Auch wenn der Zweite Weltkrieg die Titelseiten der meisten deutschsprachigen Periodika in Brasilien zwischen 1939 und 1945 okkupierte, so wird er in den von mir bislang gefundenen Tagebüchern wenig bis kaum thematisiert. Im Falle der Krankenschwester Sybille von Moers, die am Ende des Krieges in der deutschen Siedlung Hammonia, Santa Catarina tätig war, wird der Krieg nur einmal mit einem Satz erwähnt: an seinem Ende. Bedeutend ist jedoch, dass in der deutschen Kolonie in Hammonia Mennoniten mit Distanz als Russendeutsche oder sogar Russen bezeichnet werden. Auch die Sprache der zwei erhaltenen Tagebücher ist nicht ohne Bedeutung: Während das erste Tagebuch, das 1944 anfängt und 1946 endet, auf Portugiesisch verfasst wurde, ist der zweite Band, ab Juni 1946, auf Deutsch verfasst: ein wahrscheinlich wegen des Verbotes der deutschen Sprache angewandtes Manöver, auch wenn mit jeweils einigen deutschen / portugiesischen Einschüben und interessanten zweisprachigen Komposita, die von der Akkulturation zeugen.14 14 Bei den zusammengesetzten Wörtern handelt es sich um deutsch-portugiesische Komposita, wo die portugiesische Komponente nur manchmal in der deutschen Sprache nicht existent oder schwer übersetzbar ist. Außerdem kommen auch Doppelwörter, wie der „Caminhão-Verunglückte“, vor, wo das portugiesische Wort durchaus eine deutsche Entsprechung hat (hier: Lastkraftwagen).

Mit einem ganzen Kapitel wird dafür der Krieg, bzw. seine Reperkussionen in Lateinamerika auf die mennonitische Gemeinde in Paraguay in den Erinnerungen von Melitta Kliewer Nikkel beschrieben. Bei dem Buch, das auch online zugänglich ist, handelt es sich um eine bearbeitete Auswahl der Einträge ins Tagebuch, die seit der Kindheit und Flucht aus Russland über die Jugend in Paraguay bis zum hohen Alter in der Kolonie Witmarsum bei Palmeira (Paraná) reichen. Der Krieg wird erst 1943 erwähnt („Die Donner des Krieges“) und 1944 thematisiert in Bezug auf die nahende deutsche Niederlage und damit verbundene Verfolgung der Mennoniten (Kapitel 4 - „Der zweite Weltkrieg und seine Folgen für uns“). Es wird darauf hingewiesen, dass Mennoniten, die Reichsdeutsche waren, Paraguay verlassen mussten; die Konsequenzen des Krieges in Europa werden jedoch ausgeblendet. Das Kriegsende wird nicht mit Erleichterung, wie in dem Tagebuch der Schwester Sybille, sondern mit Trauer erwähnt:

Ansonsten war der Mai überschattet von dem Zusammenbruch Deutschlands am 8. Mai. In unserer Nähe hatte das Ehepaar Ernst und Anni Krone einen Laden und ein Radio. Abend für Abend fanden sich dort die Oldenburger Männer ein und verfolgten die Geschehnisse in Europa. Fritz traf Deutschlands Niederlage hart, hatten wir doch immer noch auf einen „Sieg” gehofft. Doch das Leben ging weiter […].15 15 Kliewer Nikkel (2013). Abgerufen am 30.01.2019.

Melitas 19 Jahre älterer Ehemann sowie ihr Vater wurden ihren Berichten zufolge verhört und mussten wegen der Anklage ihrer vermeintlichen NSDAP-Zugehörigkeit, die sie bestritten, mit ihren Familien mehrmals umziehen. Aufgefordert von einem Beamten, ihm die im Haus vorhandene „NS-Literatur“ vorzulegen, präsentierte Melita Kliewer bei einer der Durchsuchungen empört, Hetzblätter gegen das Dritte Reich sowie Märchen der Gebrüder Grimm; an anderer Stelle erwähnt sie aber, dass sie sich auf die Geburt ihres ersten Kindes u.a. durch die Lektüre des Buches Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind vorbereitet, ein Standardwerk verfasst von Dr. Johanna Haarer, das in den Mutterschulen des Dritten Reiches benutzt wurde und in dem Kapitel zur Erziehung dem Zeitgeist äußerst treu blieb.

Interessanterweise ist die Geschichte von Fritz Kliewer vor seiner Ankunft in Brasilien auch aus anderen Quellen bekannt.16 16 Vgl. dazu: Goossen (2016), abgerufen am 30.01.2019; Thiesen (1999). Dort werden u.a. Mennoniten, die gegen religiös motivierten Pazifismus mit dem Nationalsozialismus liebäugelten, genannt, unter ihnen Fritz Kliewer als einer der wichtigsten Unterstützer des NS-Staates in Paraguay. In seinem, wie auch in anderen ähnlichen Fällen, führte die politische Einstellung nicht nur zu Problemen mit dem paraguayischen Staat, sondern auch zu Spannungen zwischen dieser Gruppe und anderen, orthodoxen und teilweise strikt antinazistischen Mennoniten, wie Thiessen betont (Thiesen 1999Thiesen, John D. Mennonite and Nazi? Attitudes Among Mennonite Colonists in Latin America, 1933-1945, Kitchener: Pandora Press, co-published by Herald Press, 1999.).

6 Schlussbemerkungen

Abgesehen von der starken Bindung vieler Schreibenden aus der ersten Generation an ihr altes Heimatland ist eine stufenweise Akkulturation zu verzeichnen, sogar bei Autoren, die in zeitweise hermetischen und ethnisch wenig differenzierten Gemeinschaften aufwuchsen und lebten. Einige, wie Hermann Baumer, nennen sich selbst „Deutschbrasilianer“ oder „Brasilianer deutscher Herkunft“ und fühlen sich durch eigene harte Arbeit und kulturellen Beitrag als Teil der aufwachsenden brasilianischen Gesellschaft. Andere, wie Friedel Goldschmied, können sich im national gesinnten Brasilien des Getúlio Vargas nicht zurechtfinden. Manche sehen ihren Werdegang in Brasilien als eine Erfolgsgeschichte an, andere trauern ihrer verlorenen Heimat zeitlebens nach. Im Kontrast zu dem kulturell jeweils Anderen zeichnet sich ein neues Selbstbild der Migranten ab, das teilweise die vermeintliche Überlegenheit der „älteren“, deutschen Kultur miteinbezieht und eine Schicksalsgemeinschaft, einen gemeinsamen Erinnerungsraum, zumindest in den ersten Jahren der Emigration, entstehen lässt.

Auch wenn die deutsche Sprache und die Bindung an deutsches Kulturgut alle Memoiren verbindet, darf man jedoch nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass trotz der Massenemigration alle Schreibenden ihre individuellen Geschichten aufschreiben und ihre Aufzeichnungen an verschiedene potenzielle Leserkreise richten, was trotz einiger gemeinsamer Berührungspunkte und Erfahrungen unterschiedliche Erzählungen entstehen lässt. Das Reichtum und die Komplexität der Tagebücher und Memoiren als Quellen der Literatur- aber auch der Kultur- und Sprachwissenschaft beruht dabei auf der Multidimensionalität der Überlieferung, die auf sprachlicher und visueller Ebene geschieht.

Referências bibliográficas

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    » https://www.diarioav.com.br/pacificacao-em-ibirama-e-historia
  • 2
    Der 13. Mai war übrigens bis 1930 Nationalfeiertag, heute immer noch an Straßennamen in fast jeder Stadt erkennbar. Die afrikanischstämmige Bevölkerung Brasiliens feiert hingegen am 20. November, den Tag des „Schwarzen Selbstbewusstseins“ (Dia da Consciência Negra), der an den Tod des Anführers des Sklavenaufstandes von Palmares - Zumbi - und an den aktiven Widerstand der Sklaven erinnern soll.
  • 3
    Vgl. dazu: Alterman (2001: 253-256); Carvalho de Abreu (2004: 9-16); Rocha da Costa (2010).
  • 4
    Siehe hierzu: Tagebuch des Unteroffiziers Tessmann betitelt Tagebuch einer Reise nach Brasilien im Jahre 1824. Vgl. Manke (2015).
  • 5
    Vgl. dazu: Souza Correa (2005: 227-269).
  • 6
    Wie man in dem Tagebuch eines aus Galizien stammenden Bauer liest, lebte er im Glauben, er fahre „in dieses magische Land, wo es Unmengen an Ackern gibt und man nichts bezahlen muss und alles alleine wächst, wo es keinen Winter gibt und es an Brennholz nicht fehlt.“, Tagebuch Nr. 8. In: Krzywicki; Stempowski (1939: 77). Übersetzung, wenn nicht anders angegeben, IDB.
  • 7
    So geschah es zum Beispiel mit der mennonitischen Kolonie Witmarsum in Santa Catarina, die Anfang der 50er Jahre verlassen worden ist. Daraufhin ist eine Gemeinde mit demselben Namen (nach dem Geburtsort des Gründers Hugo Simas) im Bundesland Paraná aufgebaut worden.
  • 8
    Vgl. dazu: Drozdowska-Broering (2016: 78-88).
  • 9
    Vgl. dazu das Projekt an der Universidade Federal do Paraná unter der Leitung von Paulo Soethe, https://dokumente.ufpr.br/pt-br/dbpdigital.html. Bei dem Projekt geht es um erneute Erfassung und Einordung sowie Digitalisierung und Aufarbeitung von deutschsprachiger Presse in Brasilien, insbesondere von Titeln, die bis 1938 kursierten; vgl. auch ältere Bibliographien, wie: Arnd; Olson (1973); erste, jedoch etwas lückenhafte Auffassung der deutschsprachigen Periodika in Brasilien: Gehse (1931).
  • 10
    Vgl. dazu: Paul (2009); ders. (2008); ders. Visual History, Version: 3.0. Docupedia-Zeitgeschichte. Abgerufen am 15.01.2019.
  • 11
    Vgl. dazu u.a. Didi-Huberman (2007); Bachmann-Medick (2014); Belting (2011); Bredekamp (2010); Knoch (2005).
  • 12
    Vgl. dazu u.a.: Rambo (1934); Böttner (1930).
  • 13
    Vgl. Zur Pazifikation bei Ibirama: Zemke (2018), abgerufen am 26.10.2019; Hoerhann (2005).
  • 14
    Bei den zusammengesetzten Wörtern handelt es sich um deutsch-portugiesische Komposita, wo die portugiesische Komponente nur manchmal in der deutschen Sprache nicht existent oder schwer übersetzbar ist. Außerdem kommen auch Doppelwörter, wie der „Caminhão-Verunglückte“, vor, wo das portugiesische Wort durchaus eine deutsche Entsprechung hat (hier: Lastkraftwagen).
  • 15
    Kliewer Nikkel (2013). Abgerufen am 30.01.2019.
  • 16
    Vgl. dazu: Goossen (2016), abgerufen am 30.01.2019; Thiesen (1999).

Publication Dates

  • Publication in this collection
    07 Aug 2020
  • Date of issue
    Sep-Dec 2020

History

  • Received
    14 Nov 2019
  • Accepted
    18 Feb 2020
Universidade de São Paulo/Faculdade de Filosofia, Letras e Ciências Humanas/; Programa de Pós-Graduação em Língua e Literatura Alemã Av. Prof. Luciano Gualberto, 403, 05508-900 São Paulo/SP/ Brasil, Tel.: (55 11)3091-5028 - São Paulo - SP - Brazil
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